Die Diagnose Brustkrebs betrifft jede 10. Frau im Laufe ihres Lebens. Sie ist die häufigste bösartige Tumorart vor dem Prostatakarzinom und nimmt Jahr für Jahr zu. Heute werden fast 60.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland registriert. Eine Festlegung der bestmöglichen Behandlung für jeden Einzelfall soll die Hoffnungen auf Optimierung der Behandlung und vor allem auf eine Senkung der Sterblichkeit mit der schonendsten Behandlung erfüllen.
Für den Vorstoß gegen Brustkrebs werden gesundheitspolitisch drei Säulen errichtet:
1. Etablierung eines flächendeckenden qualitätskontrollierten Vorsorgesystems um mehr Mammakarzinome in einem frühen heilbaren Stadium festzustellen.
2. Definieren von standardisierten Behandlungspfaden (Neudeutsch: "Disease Management Pathways"), die auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse (Neudeutsch: "evidenzbasiert") und weniger auf persönliche Erfahrungen einzelner Therapeuten und Fachrichtungen gründen.
3. Gründung von Brustzentren, in denen dem Papier nach, unter gleichberechtigter Beteiligung der wesentlichen Facharztgruppen, neutral, die für die einzelne Patientin optimale Behandlung festgelegt wird.
Die traditionell mit der unmittelbaren Behandlung des Mammakarzinoms befasste Facharztgruppen wie Chirurgen, Plastische Chirurgen, Gynäkologen, Onkologen, Radiologen haben in den vergangenen Jahrzehnten eigene Prioritäten in der Behandlung gesetzt. Die Behandlungsqualität konnte dabei nicht immer miteinander verglichen werden. Eine chirurgisch dominierte Zeit mit Radikaloperationen wird heute von einer onkologisch dominierten, mit früher Ausnutzung der chemo-, hormon- und strahlentherapeutischen Möglichkeiten, abgelöst. Die Behandlungsentscheidungen sind daher komplizierter geworden. Die Heilungschancen jedoch nicht auf breiter Front besser. Als Erfolg wird die Vermeidung der Radikalchirurgie zu Gunsten des Brusterhaltes mit frühem Ausschöpfen der anderen onkologischen Möglichkeiten gewertet.
Deutliche Fortschritte sind auf allen Behandlungsgebieten in den letzten zehn Jahren erzielt worden: so in der Chirurgie - vor allem der Plastischen Chirurgie, in der Chemo-, Hormon- und immunologischen Therapie sowie in der Strahlentherapie. Ihre Nebenwirkungen und Komplikationen sind geringer oder besser beherrschbar geworden. Keine dieser Behandlungsarten ist in der Erstbehandlung des Brustkrebses verzichtbar. Die heute noch offene Frage ist, welcher Anteil welcher Therapieform zukommt, um der Patientin den größtmöglichen Nutzen bei geringstmöglichen Nebenwirkungen zukommen zu lassen. Bei gleichen Überlebensaussichten vereinfacht gesagt:
Bei welchen Krebseigenschaften ist es für eine Patientin besser, einen Tumor sparsam zu entfernen und die Restbrust modern zu bestrahlen? Wann ist eine moderne Radikaloperation mit hautsparender Brustdrüsenentfernung und Sofortaufbau mit Eigenfett und Verzicht auf eine Bestrahlung sinnvoller? Ist es, moderne Techniken vorausgesetzt, besser, sich die Option der Radikaloperation mit Brustaufbau für die nie auszuschleißende Möglichkeit einer Tumorwiederkehr aufzuheben? Oder ist es besser, sich dafür die Bestrahlungsmöglichkeit aufzuheben.
Wann ist es sinnvoll, einen großen, fortgeschrittenen Tumor zuerst einer modernen Chemotherapie und dann einer sparsameren Operation zu unterziehen? Und wann ist es besser, zuerst radikal zu operieren und den Defekt modern plastisch-chirurgisch zu decken und dann erst einer Chemotherapie zuzuführen? Absicht der Brustzentren ist es, die Erfahrungen der Fachgebiete zum Wohl der Patientinnen in einem Kompetenzteam zusammenzufassen.
Ziel ist dabei nicht nur, der Patientin eine hervorragende individuelle Behandlung anzubieten, sondern auch die verschiedenen Therapiemodalitäten auf ein vergleichbares optimales Niveau zu heben, um diese brennenden Fragen beantworten zu können. Nach den europäischen Kriterien der EUSOMA sind als Mitglieder eines Brustzentrums vorgesehen: onkologische Chirurgen, rekonstruktiv-plastische Chirurgen, Onkologen, Radiologen, Pathologen, Psychotherapeuten. Im europäischen und außereuropäischen Ausland schließen sich onkologische Chirurgen, rekonstruktiv-plastische Chirurgen, Onkologen und Radiologen als individuelle Spezialisten zu einem Brustzentrum zusammen.
In Deutschland geht die Entwicklung, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, fast ausschließlich von gynäkologischen Kliniken aus. Hierbei wird die onkologische Chirurgie, rekonstruktive Chirurgie und Chemotherapie häufig in die Hand der Gynäkologie gegeben, wodurch sich das Team meist auf Gynäkologe, Radiologe, Pathologe und Psychotherapeut reduziert. Das Resultat ist aus Sicht der Plastischen Chirurgie, dass der chirurgische Standard nicht mit den neuesten Entwicklungen Schritt hält. Dieses betrifft vornehmlich die Verfahren zum Brustwiederaufbau, aber teilweise auch die Verfahren zur Brustdrüsenentfernung - wo nötig.
Besonders kritisch müssen Entwicklungen einer medikamentösen Prophylaxe des Mammakarzinoms bei Hochrisikogruppen (familiäre Belastung, BRCA-Mutationsträgerinnen) als Alternative zu einem chirurgischen Vorgehen beurteilt werden. Ihre Wirksamkeit reduziert sich nach heutigen Kenntnissen auf einige Jahre und bleibt weit hinter der normalen Lebenserwartung dieser jungen Altersgruppe zurück. Die chirurgische Risikosenkung besteht hingegen zeitlebens. Es gilt also, die Operationstechniken zu optimieren und für eine Verbreitung der schonenden mikrochirurgischen Verfahren der Plastischen Chirurgie zu sorgen. An Know-how mangelt es in Deutschland nicht.
In der amerikanischen wissenschaftlichen Literatur (Plast. Rec. Surg. April 2004) wurden soeben die Ergebnisse für den modernen Brustaufbau mit reinem Fett vom Bauch (mit dem sog. DIEP-Perforatorlappen) publiziert. Die hierin führende Universität von New Orleans überblickt in den letzten 10 Jahren 750 Behandlungen mit deutlich besseren Ergebnissen, als bei Anwendung herkömmlicher Transplantationstechniken. Die auf diesem Gebiet seit 1996 innovativ tätigen Kliniken für Plastische- und Brustchirurgie am Behandlungszentrum Vogtareuth und Markuskrankenhaus Frankfurt haben ebenfalls Erfahrung mit gemeinsam ca. 600 solcher Operationen in 8 Jahren. Für viele weitere Zentren für Plastische Chirurgie ist inzwischen der Perforatorlappen zum Standard für die Brustrekonstruktion geworden. In nur wenigen Brustzentren ist eine selbständige Abteilung für Plastische Chirurgie integriert.
Gelegentlich existiert auf dem Papier ein Kooperationsvertrag. Es ist nicht zu leugnen, dass eine fachgruppenspezifische Politisierung der Kompetenzen in der Behandlung des Mammakarzinoms betrieben wird. Dies kann nicht zum Wohle der Patientinnen sein. Zu hoffen bliebe, dass sich Brustzentren von ihren "Mutterdisziplinen", seien sie Gynäkologie, Chirurgie, Plastische Chirurgie oder Onkologie verselbständigen und sich so ein Weg zu einer mehr angelsächsischen Kooperationsweise der Disziplinen ebnen ließe. Genügend Patientinnen gäbe es ja. (Dr. Alberto Peek, 1956 in Brasilien geboren, ist seit 1. Juli 2002 Chefarzt an der Klinik für Plastische und Handchirurgie und zertifiziertes Brustzentrum in Vogtareuth)
Letzte Aktualisierung am 29.07.2015.
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