Mit Skepsis hat die Fachwelt zur Kenntnis genommen, dass in Frankreich unter der Leitung des Transplantationschirurgen Jean-Michel Dubernard die erste Gesichtstransplantation stattgefunden hat - gegen das Votum des französischen Nationalen Ethikrates, der die Teil-Gesichtstransplantation der Nasen- und Mundpartie als "hoch risikoreiches Experiment" bezeichnet hat. Teile des Gesichts werden weltweit seit langem mit Eigengewebe des Patienten rekonstruiert. Gerade bei nur teilweiser Zerstörung des Gesichts kann von einer anderen Stelle des Körpers Gewebe entnommen und unter dem Mikroskop an die Blutversorgung des Empfängergebietes angeschlossen werden.
Die Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (vormals Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen) hatte eher damit gerechnet, dass die von der Fachwelt als vertretbar eingestufte komplette Gesichtstransplantation von der Forschergruppe der Cleveland Klinic Foundation in den USA durchgeführt werden würde. Über ein Jahr hatte es dort gedauert, bis die Ethik Kommission grünes Licht gab.
Maria Siemionow und ihr Team haben den Eingriff im Tierversuch immer wieder geprobt: die Entfernung des gesamten Gesichtes mit Nase, Ohren, Lippen, Lidern und behaarter Kopfhaut von einem Spender und die Verpflanzung des kompletten Gewebsblockes auf den Empfänger. Dabei gilt es, zahlreiche Arterien, Venen und Nerven unter dem Mikroskop neu anzuschließen.
12 mögliche Empfänger wurden ausgewählt: Ihr Gesicht war bei Unfällen völlig zerstört worden. Sie sind darauf angewiesen, dass ein Mensch zu Lebzeiten sich bereit erklärt, nicht nur innere Organe, sondern auch sein Gesicht zu spenden. Wer von den 12 ausgewählten Kandidaten (fünf Männer, sieben Frauen) als erster ein fremdes Gesicht bekommen wird, hängt von der Gewebeübereinstimmung ab. Für die Entnahme des Spendergesichtes veranschlagen die Wissenschaftler sieben Stunden, für die Übertragung auf den Empfänger weitere 36 Stunden.
Birgt bereits diese lange Operationsdauer erhebliche Risiken in sich (hoher Blutverlust, Gefahr von Venenthrombosen, Infektionsgefahr ) so kann auch nach der Operation keine Entwarnung gegeben werden. Kann der Patient mit seinem neuen Gesicht leben? Es wird weder dem des Spenders, noch dem des Empfängers ähnlich sein. Psychiater und Psychologen stehen bereit, um zu helfen, die damit verbundenen Schwierigkeiten zu überwinden.
Am meisten gefürchtet ist die Gefahr der Abstoßungsreaktion, die schlimmstenfalls zum vollständigen Verlust der übertragenen Strukturen führen könnte. Um dieses Risiko zu verringern, müssen stark wirksame Medikamente zur Unterdrückung des eigenen Immunsystems herhalten. Dennoch besteht die Gefahr der Abstoßungsreaktion zeitlebens. Die Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems bringen weitere Gefahren mit sich. Infektionen können sich sehr viel leichter ausbreiten und auch das Risiko, im späteren Leben eine bösartige Tumorerkrankung zu erleiden, ist deutlich erhöht. Ist es wirklich vertretbar, einen Patienten diesen Risiken auszusetzen?
Die britischen Statistiken sprechen hier eine eindeutige Sprache: Im Jahr kommt es zu circa 250.000 schweren Gesichtsverletzungen in Großbritannien. Wenigen der Betroffenen gelingt es, ein normales Leben zu führen, größtenteils leben die Betroffenen extrem zurückgezogen. Die Selbstmordrate ist gegenüber der Normalbevölkerung um 25% erhöht. Die Gesichtstransplantation wird sicher niemals ein Routineeingriff werden können. Für einige wenige Menschen stellt sie die letzte Hoffnung auf Identität dar, wenngleich ein schwieriger, vielleicht auch schmerzhafter Identifizierungsprozess notwendig ist und extrem hohe Risiken in Kauf genommen werden müssen. Die Rekonstruktion mit körpereigenem Gewebe muss jedoch immer Vorrang vor der hochriskanten Transplantation von gespendetem Gewebe haben.
Letzte Aktualisierung am 29.07.2015.
Risikoreiche Teil-Gesichtstransplantation in Frankreich, Plastische Chirurgie München