Der Daumen hat unter den 5 Fingern der Hand eine besondere Bedeutung. Als einziger besitzt er die Fähigkeit zur Opposition, das heisst er ist gegenüber den anderen Fingern um 130° verdreht und kann ihnen gegenüber stehen. Dadurch ist erst ein Greifen mit der Hand möglich.
Aufgrund dieser Bedeutung wird bei Teilverlust oder totalem Verlust des Daumens die Greiffunktion der Hand hochgradig beeinträchtigt. Bei der operativen Versorgung von Handverletzungen ist deshalb oberstes Prinzip die Erhaltung des Daumens. Der Amerikaner Harry Buncke war Mitte der 1960er Jahre einer der ersten Handchirurgen, denen es gelang, einen vollkommen abgetrennten Daumen zu replantieren, das heisst "wiederanzunähen".
In der Folgezeit wurden die Mikrochirurgie perfektioniert und die Ergebnisse verbessert, so dass die Replantation eines Daumens zu einer Standardoperation an handchirurgischen Abteilungen geworden ist. Inzwischen gibt es in Deutschland eine flächendeckende Versorgung mit Replantationszentren.
Trotz aller Fortschritte liegt die Verlustrate nach Replantation immer noch bei 20 bis 30%, bei der Replantation ganzer Gliedmaßen (Arme, Beine) bei etwa 50%. Bei fehlgeschlagenen Replantationen gibt es verschiedene Möglichkeiten der Daumenrekonstruktion:
Bei Amputationen in Endgelenkshöhe und bis zur Mitte des Grundgliedes ist die Länge des Restdaumens für die Greiffunktion oft noch ausreichend. In solchen Fällen ist eine Vertiefung der Zwischenfingerfalte zwischen Daumen und Zeigefinger angezeigt, weil dadurch die Abspreizmöglichkeit des Daumens verbessert werden kann. Dies kann sehr einfach durch eine Verschiebelappenplastik der Haut (zum Beispiel so genannte Z-Plastik erfolgen)
Bei Amputationen, die körpernaher sind als die Mitte des Grundgliedes sind, reicht eine Vertiefung der 1. Zwischenfingerfalte nicht mehr aus, sondern es muss zusätzlich eine Verlängerung des Daumens erfolgen.
Die Grundlagen für die Knochenverlängerung an Extremitäten hat ab 1954 der sowjetische Arzt Gavril Abramovich Ilisarov, der ein großes orthopädisch-unfallchirurgisches Krankenhaus in Kurgan in Sibirien leitete, erarbeitet. Die Ilisarov-Methode wurde aber erst 1988 durch italienische Ärzte in Europa bekannt gemacht. Ilisarov hat entdeckt, dass ein Dehnungsreiz auf einen durchtrennten Knochen die Neubildung von Knochen anregt. Durch langsames Auseinanderziehen (1 mm pro Tag) eines im Knochen durchtrennten Unterschenkels kann beispielsweise der Knochen verlängert werden.
Damit diese Distraktion präzise und stabil erfolgen kann, wird der Knochen durch ein von außen eingebrachtes (Fixateur externe) fixiert. Mit einem solchen Ringfixateur kann über eine Gewindestange eine kontinuierliche Dehnung erfolgen. Die Weichteile (Haut, Nerven, Blutgefäße) passen sich durch die langsame Distraktion ebenfalls an. Mit dieser Methode können gleichzeitige Achs- und Längenkorrekturen an Extremitäten durchgeführt werden.
Der Bulgare Ivan Matev hat 1967 diese so genannten Callusdistraktion zur Verlängerung des Daumens abgewandt. In neuerer Zeit wurden auch sog. Interne Distraktoren entwickelt. Dadurch wird die manchmal sehr aufwendige und voluminöse Montage eines äußeren Spanners vermieden. Über einen Metallschlitten, der am Mittelhandknochen des Daumens befestigt wird, kann die Verlängerung des Knochens erfolgen.
Aus der Haut ragt nur noch der so genannte Aktivator heraus, der mit einer Gewindespindel über ein Kardangelenk verbunden ist. Durch Drehen des Aktivators mit einem Schraubenschlüssel kann der Patient die Knochenverlängerung selbst durchführen. Nach erfolgter Distraktion wird der Aktivator unter der Haut gekürzt. Nach einer Stabilsierungszeit von einem Jahr, in dem sich der neu gebildete Knochen immer mehr verdichtet und festigt, kann das Metall entfernt werden.
Diese Methode wurde von dem deutschen Handchirurgen Dieter Buck-Gramcko entwickelt. Sie wird hauptsächlich bei angeborenen Fehlbildungen mit Fehlen oder Minderwuchs des Daumens angewandt. Behandlungsprinzip ist ein Herauslösen des Zeigefingers, so dass dieser nur noch an Nerven und Blutgefässen mit der Hand verbunden ist. Der herausgelöste Zeigefinger wird um 130° gedreht und an der Stelle des fehlenden Daumens fixiert. Dadurch steht der neue Daumen den restlichen Fingern gegenüber und kann zum Greifen benützt werden.
Durch die Fortschritte der Mikrochirurgie war es auch bald möglich, frei verpflanzte Zehen als Daumenersatz zu benützen. Dabei werden die Blutgefässe der Zehe unter dem Mikroskop mit Blutgefässen an der Hand verbunden, so dass die verpflanzte Zehe durchblutet wird und einwachsen kann. Anfangs wurde für diesen Zweck hauptsächlich die Großzehe verwendet. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Probleme des Spenderfußes nicht unbeträchtlich sind.
Vor allem wenn der Mittelfußknochen mitgenommen wird, haben die Patienten nicht selten Probleme beim Laufen. Bevorzugte Spenderzehe ist deshalb heute die 2. Zehe, da diese Probleme hier seltener auftreten. Ästhetische Aspekte treten in den Hintergrund, da die Funktion im Vordergrund steht. Mit dieser Methode ist es auch möglich einfache Greifformen bei schweren Verletzungen mit Amputation mehrerer oder aller Finger durch die Verpflanzung mehrerer Zehen zu rekonstruieren.
Die moderne Plastische Chirurgie und Handchirurgie bietet heutzutage verschiedene Möglichkeiten der Daumenrekonstruktion an. Jede Methode hat Ihre Vor- und Nachteile. Gemeinsam mit dem Patienten findet der Handchirurg die im Einzelfall optimale Methode. So kann bei vertretbarem Risiko das Beste für den Patienten erreicht werden.
Dr. Hans Bucher, Nürnberg |
Letzte Aktualisierung am 29.07.2015.
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