Das Bonner Team (von links vorne: Erdsach, Heeg, Diehl, Müller, Krause; von links hinten: Bergé, Eckermann, Bruhn)
Noma ist eine Krankheit der Armut. Kinder in Afrika erleiden durch diese bakterielle Infektion, auch "Wangenbrand" genannt, schwere Gesichtsverstümmelungen. Ein ehrenamtliches Team der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie Anästhesiologie des Universitätsklinikums Bonn operierte bei seinem Einsatz in Nigeria vom 5. bis 22. Februar Noma-Opfer, aber auch Kinder mit angeborener Lippenspalte, Verbrennungsopfer und Tumorpatienten.
Dicht drängeln sich Patienten und Angehörige auf dem Flur. Ruhig warten sie auf ihre erste Untersuchung durch das Operations-Team aus Deutschland, das gestern müde nach einer langen, holprigen Busfahrt im Noma Children Hospital in Sokota ankam. Da ist eine junge Frau, der Teile der Wange, Oberlippe, Oberkiefer- und Wangenknochen sowie ein Stück der Nase fehlen. Ihre Wange ist eingefallen und zieht dadurch das untere Augenlid herab. Sie hat als Kind zwar Noma überlebt, aber diese verheerende Krankheit hat buchstäblich ihre eine Gesichtshälfte zerfressen und sie für das ganze Leben gezeichnet. Durch Mangelernährung war ihr kindliches Immunsystem geschwächt, und eigentlich harmlose Mundbakterien vermehrten sich rasch. Die Infektion breitete sich immer weiter aus, zerstörte Gewebe in ihrem Gesicht und griff ihre Knochen an.
Einige der kleinen Noma-Patienten haben durch die Vernarbungen eine Kiefersperre. Sie können ihren Mund nicht mehr öffnen und nur schwerlich Nahrung, meist nur in flüssiger Form, zu sich nehmen. "Die Gelassenheit und Geduld, mit der sie ihr Leid akzeptieren, haben mich sehr beeindruckt", sagt Chirurg Dr. Torsten Erdsach, Oberarzt an der Universitäts-Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Ein kleiner Junge sitzt bei seinem Opa auf dem Schoß, und beide strahlen eine kolossale Ruhe aus. Er ist wie viele der kleinen Patienten mit einer Lippenspalte auf die Welt gekommen. Das jüngste von ihnen ist gerade mal 5 Monate alt. Ein zehnjähriges Mädchen mit Verbrennungen am ganzen Oberkörper kann ihre Arme nicht mehr strecken oder heben.
"An diesem ersten Arbeitstag erfassten wir alle 105 Patienten im Computer und legten den OP-Plan für die kommenden 2 Wochen fest", erzählt Chirurg Erdsach. Durch plastische Rekonstruktionen und Transplantationen stellt das Bonner Team die zerstörten Gesichter ihrer vorwiegend kleinen Patienten weitgehend wieder her. Jeden Morgen nach dem Frühstück bereiten die beiden Anästhesisten der Universitäts-Klinik für Anästhesiologie, der Privatdozent Dr. Jörgen Bruhn und Dr. Lutz Eckermann, die ersten Patienten für die Operation vor. Rund 10 Stunden am Tag operiert das Bonner Team parallel an drei Operationstischen bei ungewöhnlich angenehmen 25°C.
"Die Zusammenarbeit mit dem einheimischen Pflegepersonal war sehr konstruktiv und hilfreich. Für die Dritte Welt ist der Operationssaal sehr gut ausgestattet. So konnten wir alle unsere Patienten fast nach europäischem Standard versorgen", sagt Dr. Stefaan Bergé, Organisator des Sokoto-Einsatzes. Doch müssen die Teammitglieder dort etwas flexibler sein und auch improvisieren. Krankenpfleger Sascha Heeg, zum fünften Mal vor Ort, organisiert notwendige Kleinigkeiten und sterilisiert ständig Instrumente, so dass diese für die nächste Operation wieder einsatzfähig sind. Dadurch können die Chirurgen Bergé, Erdsach und Bernd Krause, ein Plastischer Chirurg aus Frechen, jeweils schon nach einer Pause von 10 Minuten weiterarbeiten.
Baba, der einheimische siebzigjährige Koch, sorgt mit seiner guten Kochkunst dafür, dass das deutsche Team bei Kräften bleibt. Jeden Abend macht es eine Visite und untersucht auch die Patienten für den nächsten Arbeitstag. Vor allem in den Patientenzimmern der Frauen ist immer viel los. Größtenteils ist die ganze Familie, auch die kleinen Geschwister, mitgekommen. Da ist eine stille Dankbarkeit, die sich meist nur in kleinen Gesten zeigt. Nicht nur OP-Schwester Jelena Müller und Anästhesieschwester Sylke Diehl haben bei jeder Visite zwei bis drei Kinder an der Hand.
"Am Anfang waren gerade die Kinder scheu, die tauten aber dann sehr schnell auf. Wir haben uns stark auf Gefühle eingelassen und alle unsere Patienten richtig lieb gewonnen. Jeder hatte seinen kleinen Favoriten", erzählt Privatdozent Bergé. Aber da ist immer noch die Sprachbarriere, die die Bonner allerdings mit Hilfe der Team-Managerin Karin Schröder auch überwinden. Sie dolmetscht und hält dem Team bei allen kleinen Alltagsdingen den Rücken frei. Ein Fest am letzten Abend rundet den Operations-Einsatz im Noma Children Hospital ab.
"Es war wie ein Urlaub mit guten Freunden. Eine konstruktive Zusammenarbeit in einem Team von Leuten, die alle das gleiche Ziel haben, setzt viel Energie frei. Gemeinsam erreicht man entscheidend mehr als man überhaupt vermuten kann", begeistert sich Chirurg Bergé. "Jetzt fällt es uns allerdings ein wenig schwer in das bürokratische deutsche Gesundheitswesen zurückzufinden."
Letzte Aktualisierung am 29.07.2015.
Ästhetische Medizin,