Gehen Zähne verloren, sollten diese so früh wie möglich durch Implantate ersetzt werden. Darüber sind sich die Experten einig. Ebenso ermöglichen neue Verfahren, dass die künstlichen Zahnwurzeln in vielen Fällen bereits unmittelbar nach der Implantation mit festsitzendem Zahnersatz versorgt werden können. Doch unter welchen Umständen und wie stark darf dieser dann auch schon belastet werden? Darüber diskutieren mehr als 1.000 Zahnärzte und Chirurgen auf dem 19. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Implantologie in Dresden.
Die Zahnärzte sind bei der Implantation künstlicher Zahnwurzeln in den letzten Jahren mutiger geworden. Eine Osteoporose oder ein gut eingestellter Diabetes, beispielsweise, sind keine Kontraindikationen mehr. "Wenn wir die individuelle Knochenstruktur berücksichtigen, ist die Implantation möglich," erklärt Professor Henning Schliephake, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie. Ziel der Implantologen ist es vor allem, die Belastung des chirurgischen Eingriffs zu reduzieren und die Behandlungszeit zu verkürzen. Auf diesem Gebiet wurden in den letzten Jahren deutliche Fortschritte erzielt. Eine entscheidende Voraussetzung muss allerdings stets erfüllt sein: das Knochenangebot muss ausreichend sein, damit der Zahnarzt ohne Ersatzmaterialien und Knochenverpflanzung implantieren kann.
SOFORTIMPLANTATION
Während die Zahnärzte früher zwischen Zahnextraktion und Implantation mehrere Monate verstreichen ließen, pflanzen sie die künstliche Wurzel heute, wenn immer möglich, unmittelbar nach der Extraktion in das vorhandene Zahnfach ein. Nur bei ausgeprägten chronischen Entzündungen sowie ausgedehnten Schäden an Weichteilen und Knochen, etwa nach einem Unfall, ist diese Sofort- Implantation nicht empfehlenswert.
PRÄZISE PLANUNG
Fortschritte bei der Planung der Eingriffe etwa auf der Basis von CT-Aufnahmen machen die Implantologie noch sicherer, da das Knochenangebot sowie benachbarte anatomische Strukturen vorab dreidimensional dargestellt und analysiert werden können.
Sind die Verhältnisse günstig, kann der Zahnarzt die Belastung des Eingriffs reduzieren: Ist kein Knochenaufbau erforderlich, muss das Zahnfleisch nicht aufgeschnitten werden. Bohrschablonen, die auf der Grundlage der Bildgebung speziell angefertigt werden, sorgen dafür, dass die Zahnimplantate minimal invasiv eingepflanzt werden können.
SOFORTVERSORGUNG
Die Fortschritte bei der Planung ermöglichen in vielen Fällen eine sofortige Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz - provisorisch oder endgültig. "Wenn die Voraussetzungen stimmen, versuchen wir natürlich, die Patienten frühzeitig mit einem festsitzenden Zahnersatz zu versorgen", erklärt Professor Manfred Wichmann von der Poliklinik für zahnärztliche Prothetik der Universität Erlangen-Nürnberg. Damit verbunden ist - imVergleich mit provisorischen, herausnehmbaren Prothesen - ein hoher Tragekomfort, eine bessere Funktion und Ästhetik sowie eine kürzere Behandlungsdauer. Vor allem trägt die Sofortversorgung zum Erhalt von Hart- und Weichgewebe bei. Allerdings bedeutet Sofortversorgung nicht automatisch Sofortbelastung: Damit Implantate einheilen können, kann ein provisorischer, festsitzender Zahnersatz beispielsweise etwas niedriger gehalten werden. Die Lücke wird so ästhetisch ansprechend geschlossen, doch der Zahn beim Kauen nicht belastet.
SOFORTBELASTUNG
Die alte Lehrmeinung, dass Implantate generell und grundsätzlich drei Monate (im Unterkiefer) bzw. sechs Monate lang im Oberkiefer völlig unbelastet einheilen müssen, gilt indes bei unkomplizierten Fällen mittlerweile als überholt. Im unbezahnten Unterkiefer können die Implantate verblockt und daher sofort mit Zahnersatz versorgt und belastet werden. Auch im zahnlosen Oberkiefer ist die frühzeitige Versorgung der Implantate mit Zahnersatz und eine sofortige Belastung möglich, wenn die Implantate in ausreichender Zahl eingepflanzt und abgestützt werden. In diesen Fällen liegen die "Überlebensraten" der Implantate bei über 95%. Zurückhaltend sind die Experten, wenn es um die frühe Belastung von Einzelzahnimplantaten geht - vor allem im Oberkiefer. Hier sind noch weitere Studien erforderlich.
DIE INTEGRATION BESCHLEUNIGEN
Wie früh ein Implantat belastet werden kann, hängt letztendlich davon ab, wie fest das Implantat unmittelbar nach dem Einsetzen im Knochen sitzt - Experten sprechen von Primärstabilität - und schnell sich die Titanwurzel mit dem umgebenden Knochengewebe verbindet und einheilt. "Wir verstehen zunehmend die Mechanismen der Heilung, der Regeneration und Neubildung von Knochen", erklärt Schliephake, "ebenso lernen wir, wie diese Prozesse molekular gesteuert werden." Durch Veränderungen der Implantat-Oberfläche versuchen die Forscher daher, den Heilungsprozess zu beschleunigen. Bereits etabliert ist etwa die Erhöhung der Rauigkeit.
Die Implantate werden geätzt oder zum Beispiel sandgestrahlt. Ebenso gibt es Versuche, die Oberfläche von Implantaten chemisch und biochemisch zu verändern. Auf der Tagung berichtet das Team von Schliephake beispielsweise über die Beschichtung von Implantaten mit Kollagen, Adhäsionspeptiden und Wachstumsfaktoren. Erste Experimente deuten darauf hin, dass die mechanische Veränderung der Implantatoberfläche und die zusätzliche Beschichtung die Knochenregeneration um das Implantat herum beschleunigen kann. "Aber hier stehen wir erst am Anfang", betont Schliephake. Die Strategien stecken noch in den Kinderschuhen und müssen weiter experimentell erprobt werden.
NEUE WERKSTOFFE
Mit künstlichen Zahnwurzeln aus Titan haben die Zahnärzte die längste Erfahrung. Mittlerweile werden gleichwohl auch andere Werkstoffe erprobt, etwa Zirkonium, eine Keramik. "Dies ist eine interessante Option", erklärt Schliephake. Allerdings fehlen auf diesem Gebiet noch Langzeiterfahrungen. "Wir wissen nichts über die Bruchfestigkeit solcher Implantate etwa nach zehn Jahren."
Mehr Lebensqualität durch Zahnimplantate - Zahnärzte pflanzen 2006 schätzungsweise 600.000 Implantate ein
In diesem Jahr haben Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland schätzungsweise 600.000 künstliche Zahnwurzeln implantiert, 70.000 mehr als im vergangenen Jahr. "Das Interesse an Implantaten ist dramatisch gestiegen", sagt Dr. Günter Dhom, Präsident des 19. Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Implantologie, der am 1. und 2. Dezember mit rund 2000 Teilnehmern und 86 Ausstellern in Dresden stattfindet. Die soeben veröffentlichte "Deutsche Mundgesundheistsstudie IV" gibt Auskunft über den aktuellen Behandlungsbedarf der Bundesbürger.
Diese verlieren bis zum Erreichen der Lebensmitte (33-45 Jahre) im Durchschnitt 3 Zähne. Mit zunehmendem Lebensalter kommt es zu einem deutlichen Anstieg des Zahnverlustes, so dass im Seniorenalter (65-74 Jahre) durchschnittlich 14,2 Zähne fehlen. In dieser Altersgruppe sind immerhin fast ein Viertel (22,6%) der Bevölkerung im Ober- und Unterkiefer vollständig zahnlos. Erwachsene lassen ihre fehlenden Zähne nur in ca. 50% der Fälle ersetzen, während bei den Senioren fast 90% der fehlenden Zähne prothetisch ersetzt sind.
Trotz des großen allgemeinen Interesses an implantatgetragenen Rekonstruktionen waren bei den Erwachsenen nur in 1,4% und bei den Senioren nur in 2,6% implantatgetragene prothetische Versorgungen vorhanden. Selbst wenn der Anteil implantatgestützter Versorgungen gegenüber 1997 um 0,7% gestiegen ist, hat die Implantologie noch immer einen geringen Anteil im Vergleich zur konventionellen Versorgung.
Allerdings: "Die Bereitschaft zum Tragen herausnehmbarer Prothesen sinkt", erklärt der Präsident des 19. Jahreskongresses der DGI, Dr. Günter Dhom (Ludwigshafen). Mehr als die Hälfte der Patienten, die einen herausnehmbaren Zahnersatz tragen, haben damit mehr oder weniger große Probleme. Dies belegt eine Untersuchung aus dem Jahr 2003. Mehr als ein Drittel fühlt sich etwa beim Essen beeinträchtigt, 17% verkneifen sich sogar zu lächeln. Geht es um "die Dritten", entscheiden sich inzwischen 1,4% der Männer und 3,6% der Frauen für implantatgestützten Zahnersatz. Schätzungen zufolge implantieren die Zahnärzte in Deutschland in diesem Jahr 600.000 künstliche Zahnwurzeln.
MEHR KOMFORT UND ÄSTHETIK.
Am wichtigsten ist den Patienten die Kaufunktion. Diese halten 84% der Frauen und 74% der Männer für "sehr wichtig". Das zeigt eine Befragung von 315 Patienten, die von Professor Andreas Bremerich von der Klinik für MKG-Chirurgie des Klinikums Bremen-Mitte auf der Tagung in Dresden präsentiert wird. Geschlechtsunterschiede gibt es indes beim Anspruch an die Ästhetik: Diese ist für 68% der Frauen aber nur für 41% der Männer "sehr wichtig". Der wichtigste Informant zum Thema Implantate ist der Zahnarzt. Dies ist ein weiteres Ergebnis der Bremer Arbeitsgruppe. Doch immerhin informiert sich jeder vierte Patient durch mehrere Quellen.
DIE LEBENSQUALITÄT STEIGT. Zahlreiche Studien zeigen, dass Implantatträger deutlich weniger Einschränkungen der Lebensqualität in Kauf nehmen müssen als Menschen mit konventionellem Zahnersatz. Kanadische Forscher von der McGill Universität in Montreal untersuchten in einer Studie beispielsweise, wie sich Implantate im Vergleich zu einer herausnehmbaren Prothese auf verschiedene Lebensbereiche auswirken, unter anderem auf die Sexualität. Resultat: Implantatträger fühlten sich zwei Monate nach der Versorgung beim Küssen und bei der Sexualität weniger beeinträchtigt als jene Patienten, die konventionellen Zahnersatz erhalten hatten. Auch beim Essen, Sprechen und Gähnen haben die Implantatträger weniger Probleme.
Letzte Aktualisierung am 29.07.2015.
Zahnimplantate: Wann implantieren - wann versorgen - wann belasten?, Mehr Lebensqualität durch Zahnimplantate - Zahnärzte pflanzen 2006 schätzungsweise 600.000 Implantate ein